Aphasie
Eine Aphasie bezeichnet eine Sprachstörung, die aufgrund einer Hirnschädigung nach Abschluss des Spracherwerbs eintritt. Eine Aphasie kann sich nicht nur auf das Sprechen, sondern auch auf das Verstehen sowie das Lesen und Schreiben erstrecken und alle Ebenen der Sprachverarbeitung betreffen, d. h. die Satzebene (Syntax), den Wortschatz (Lexikon), die Wortbedeutung (Semantik) und die Lautebene (Phonologie). Aus den aphasischen Störungen resultieren aber nicht nur zum Teil massive sprachliche kommunikative Probleme, sondern häufig auch psycho-soziale Folgen, die neben beruflichen, sozialen und familiären Veränderungen für den Patienten auch enorme Belastungen für die Angehörigen darstellen können.
Spontanverlauf
Bei etwa einem Drittel der aphasischen Patienten normalisieren sich die sprachlichen Funktionen innerhalb der ersten vier Wochen, danach nimmt die Spontanrückbildung ab. Spätestens nach zwölf Monaten können Fortschritte nur noch durch qualifizierte Sprachtherapie erzielt werden. Man spricht dann von der chronischen Phase. Gegenüber den chronischen Aphasien weisen akute Aphasien ein eigenes Krankheitsbild auf. Die Bezeichnung "akute Aphasie" beinhaltet, dass die sprachliche Symptomatik von Änderungen geprägt ist. Nach der Spontanrückbildung stellen sich entsprechend stabilere Störungsbilder dar. Weitere Entwicklung der Sprachstörung Der zeitliche Verlauf der Rückbildungsprozesse und der Rückbildungsgrad wird vor allem mit dem Schweregrad der Sprachstörung zu Beginn in Zusammenhang gebracht. Es gibt allerdings noch keine eindeutigen Forschungsergebnisse dazu, welche Faktoren Einfluss auf die Rückbildung der Sprachstörung haben. Neben dem Schweregrad werden die Flüssigkeit der Sprache oder die Kommunikationsfähigkeit, die Ausdehnung und der Ort der Hirnschädigung, die Ausprägung der Sprachverständnisstörung, Alter und Geschlecht usw. als Einflussfaktoren diskutiert.
Ziele in der Therapie
Die Zielsetzungen in der Therapie von Aphasien orientieren sich an den Ergebnissen einer eingehenden Erhebung der Krankheitsvorgeschichte und kommunikationsorientierter Untersuchungsverfahren. Ziel ist es, die sprachlichen Leistungen und das Kommunikationsvermögen der Patienten zu verbessern und/oder angemessene Strategien zu vermitteln, um die durch die Aphasie entstandenen Beeinträchtigungen in der aktiven Teilnahme am sozialen Leben zu mindern. Für den zur Verfügung stehenden Therapiezeitraum sollten Behandlungsziele formuliert werden, deren Erreichen durch standardisierte Testverfahren objektiviert werden können.
Verlauf der Behandlung
Aus dem phasenspezifischen Verlauf und der unterschiedlichen Ausprägung von Aphasien ergibt sich, dass auch die Sprachtherapie phasen- und störungsspezifisch erfolgen sollte. Hierbei unterscheidet man im Wesentlichen zwischen einer Aktivierungsphase, dem störungsspezifischen Üben und der Konsolidierungsphase.Die Sprachtherapie sollte in den ersten Wochen, in Abhängigkeit von der Belastbarkeit des Patienten, täglich ca. ein- bis zweimal je 30 Minuten erfolgen.Wenn sich die aphasischen Störungsbilder gefestigt haben, ist es weiterhin möglich, die Rückbildung durch störungsspezifisches Üben zu unterstützen. Die Therapie sollte während des stationären Aufenthaltes in einer Rehabilitationseinrichtung möglichst täglich mit einer Intensität von fünf bis zehn Stunden in der Woche stattfinden. Danach wird empfohlen, die ambulante Sprachtherapie bis zu sechs Monate, dreimal wöchentlich 60 Minuten weiterzuführen. Die Einzeltherapie kann durch das Angebot von Gruppentherapie und selbständiger PC-gestützter Therapie ergänzt werden.Spätestens ab zwölf Monaten nach Beginn der Aphasie entscheiden individuelle Zielsetzungen und das Lernpotential des Patienten über weitere sprachtherapeutische Maßnahmen. Auch in der chronischen Phase kann es noch sinnvoll sein, eine stationäre Behandlung mit Intensivtherapie, d.h. möglichst täglichen Therapiestunden durchzuführen.Ein Therapieabbruch sollte erfolgen, wenn durch standardisierte diagnostische Verfahren keine weiteren Lernfortschritte mehr beobachtet werden können und auch Methoden der Anpassung an Alltagsbedürfnisse erschöpft sind.
Methoden und Inhalte
In der Akutphase der Rehabilitation ist es erforderlich, z. B. die zwanghafte Wiederholung von gleich bleibenden Silben, Wörtern und Sätzen oder Fehlkompensationen, z.B. das Verwenden von Füllwörtern wie "dingsda", zu hemmen und den Leidensdruck der Patienten zu mildern, um die spontanen Rückbildungsprozesse durch vorwiegend aktivierende Therapiemethoden zu unterstützen.Neben den sich teilweise stark verändernden Symptomen in den ersten Wochen ist auch die Belastbarkeit der Patienten nach einem akuten Schlaganfall noch deutlich herabgesetzt, so dass die Konzentrationsfähigkeit häufig schnell erschöpft ist. Nach der Akutphase werden symptomorientierte, störungsspezifische Übungen gewählt, welche früh mit Kommunikations- und Transferaufgaben, z. B. in Gruppen, verknüpft werden. In den störungsspezifischen Aufgaben werden die individuell relevanten sprachlichen Schwierigkeiten in den Bereichen Lesen, Schreiben, Verstehen und Sprechen geübt. Es können auch Ausgleichsstrategien durch die Verwendung von nichtsprachlichen Ausdrucksmitteln wie Gestik, Zeichen oder Bildsymbolen vermittelt werden.
Zu den kommunikationsorientierten Methoden zählen beispielsweise sprachliche Rollenspiele oder Kommunikationstraining im Alltag. Ziele der Gruppentherapie sind es, die kommunikativen Aktivitäten durch offene Gespräche zu stimulieren, einzeltherapeutisch vermittelte Inhalte anzuwenden, die Interaktion durch gemeinsame Bewältigung sprachlicher Aufgaben zu fördern und eine realistische Selbstbewertung in alltagsnahen kommunikativen Situationen zu erzielen.
Angehörigenberatung
Im Rahmen eines sprachrehabilitativen Gesamtkonzepts sind Angehörigengespräche ein fester Bestandteil. Das Einverständnis der Patienten vorausgesetzt, sollten sie mindestens bei Beginn der Therapie und beim Abschluss stattfinden.
Literatur
Springer L; In: Stemmer B & Whitaker HA (ed): Handbook of the neuroscience of language. Elsevier Academic Press 2008, 397-406.
Leitlinien 2000 der Gesellschaft für Aphasieforschung- und behandlung (GAB) und Deutsche Gesellschaft für Neurotraumatologie und Klinische Neuropsychologie (DGNKN): Qualitätskriterien und Standards für die Therapie von Patienten mit erworbenen neurogenen Störungen der Sprache (Aphasie) und des Sprechens (Dysarthrie).
Rehabilitation aphasischer Störungen nach Schlaganfall. In: Diener & Putzki: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Georg Thieme Verlag KG 2008, 920-926.
Autorin:
Maria Bley
Leitende Sprachtherapeutin, Phase D, Klinische Linguistin (BKL) Brandenburg Klinik Bernau